Bergtour Hochstollen – Glogghüs   3./4. Juli

Eine Bergtour, die am Ende beginnt Es wäre zu schön, um wahr zu sein. Mehr als eine Woche schönes und sicheres Wetter! Alles deutet darauf hin, dass unser Bergwochenende sonnig bleibt. Aber als am Donnerstag die ersten Anfragen betreffend Durchführung eingehen, weil der Wetterbericht doch nicht mehr so positiv tönt, ist der Entscheid schon gefallen. Es scheint, dass am Sonntag mit vermehrten Gewittern gerechnet werden muss. Wie gefährlich Gratüberschreitungen bei Gewittern sind, haben wir selbst schon erfahren. Also wird die Tour in umgekehrter Richtung durchgeführt, um die heiklen Gratabschnitte am Samstag noch geniessen zu können. Das heisst, ab Luzern müssen die Reservationen geändert werden, was zum Glück gelingt.


Neunzehn erwartungsfrohe Bergbegeisterte freuen sich auf die Tour vom Haslital hinüber zum Melchsee. Die Billette für die Schwebebahn auf die Käserstatt liegen in der Talstation bereit. Der Kaffeehalt in der Bergstation ist eine kurze Angelegenheit, denn der neueste Wetterbericht sagt bereits auf den frühen Nachmittag Gewitter voraus. Beim Abmarsch stehen zwar bloss ein paar kleine Wölklein über den Bergen, wie wenn überhaupt nichts passieren würde. Die Berner Oberländer Gipfel vom Fisteraarhorn bis zur Jungfrau beherrschen das Landschaftsbild.

Nach einer Stunde wird gerastet, bevor zwei Gruppen gebildet werden, denn nach zehn Minuten trennen sich die Wege. Vorbildlich haben Alle bereits entschieden, wem sie sich anschliessen wollen. Zehn Mutige starten unverzüglich mit René nach Osten Richtung Glogghüs. Auf schwachen Wegspuren überschreiten sie in luftiger, teils ausgesetzter Gratkraxlerei anschliessend das Rothorn und  den Talistock. Der Abstieg zur Unterkunft am Melchsee erfolgt in einer steilen Mulde.

Die übrigen ziehen mit mir in die entgegen gesetzte Richtung, wo der Hochstollen das andere Ende der Bergkette bildet. Vor dem Aufstieg blicken wir in die abschreckend steile Rinne „Wit Ris“ hinunter, die für beide Gruppen als Notabstieg bei Wetterumsturz gedacht ist. Aber vorläufig geniessen wir die Sonne, die Fernsicht und die Farbenpracht der Blumen an den südlichen Hängen. Wir staunen auch über die sehr speziellen Felsmonumente.

Auf dem Gipfel ist die Sonne weg. Eine lange, noch nicht bedrohliche Wolke hat sich über der Bergkette aufgebaut. Die Mittagsrast wird gekürzt. In einer Stunde kann alles im Nebel sein. Wir vermuten, dass auch die andere Gruppe vorwärts macht. Sie benötigen mindestens eine Stunde mehr Zeit als wir. Unser Abstieg wird nur noch durch eine kurze Trinkpause unterbrochen. Trotzdem verpassen wir natürlich den Ausblick nicht auf die Seengruppe mit Blausee, Melchsee, Tannsee und Engstlensee.

Dann spüren wir die ersten kleinen Tropfen auf der Haut und ein leises Donnergrollen mahnt uns zur Eile. Noch ist es eine Stunde bis zur Unterkunft in der Erzegg. Auf der Strasse dem Melchsee entlang beginnen die Touristen mit dem Aufspannen Ihrer Schirme. Eine Gewitterfront entwickelt sich über dem Jochpass. Einige von uns rupfen ihre Regenjacken aus ihrem Rucksack. Andere spurten im Eilmarsch weiter, obwohl sie das Ziel nicht genau kennen. Mit einem erbettelten Schirm amte ich bei einer Verzweigung als Wegweiser.

In der Gastube der Erzegg ist der Schwedenofen schon eingeheizt. Dort können die nassen Kleider getrocknet werden. Die Wirtin kennt die Bedürfnisse ihrer Gäste. Die Hauptgedanken sind natürlich bei der anderen Gruppe, die im Abstieg sein müsste. Da ich von René keine Meldung bekommen habe, bin ich nicht beunruhigt, obwohl der Regen inzwischen sehr intensiv geworden ist. Plötzlich Rufe: „Sie kommen, sie kommen“. Patschnass, Einzelne bis auf die Haut. Sie werden mit grosser Erleichterung empfangen. Wenn schon nass, dann richtig, entscheiden die Klingnauer und setzen sich ins Hofbad, wo sie mit Jägertee versorgt  werden. Einer schiebt tüchtig Holz nach und meint, zum desinfizieren brauche es schon noch mehr Wärme.

Nach dem währschaften Nachtessen vergeht der Abend mit Fussball- WM, Jassen und Plaudern.

Der zweite Tag verläuft bedeutend weniger spektakulär, obwohl der Wetterbericht gar nicht gut tönt. Unser Weg führt über den Seen zum Jochpass, durch Blumenhänge und über Karstfelsen. Zeitweise kommen Titlis und Hahnen zum Vorschein und hinter dem Engstlensee die zackigen Wendenstöcke, während die gestern bestiegenen Gipfel bald endgültig in den Wolken verschwinden. Der erste Regen fällt in Engelberg, wo wir beim kühlen Bier unter Dach auf den Zug warten.

Trotz abgeändertem Programm, eingeschränkten Rastzeiten, nassen Kleidern und Wasser in den Schuhen gab es rundum zufriedene Gesichter. An solch abenteuerliche Touren erinnert man sich eher zurück. Und die fröhliche Rückreise zeigte, dass niemand Schaden gelitten hatte. Da wirkte die Bemerkung des Kondukteurs schon etwas sarkastisch, als er fragte: „ Seid Ihr alle da oder ist jemand abgestürzt?“

Erwin Meier