Bericht von der Hochtour auf den Gross Spannort

Neid oder Mitleid?

Fünf Männer gesetzteren Alters mit schweren Rucksäcken steigen in Pfungen in die S-Bahn Richtung Bülach. Mit Eispickel, Helm und Seil wird man von den Mitreisenden natürlich beachtet, aber kaum bewundert. Eher spricht Mitleid oder Unverständnis aus den Blicken. Eine solche Ausrüstung mühsam auf einen Berg schleppen! Was hat der Berg davon? In Zürich und Thalwil bekommen wir Verstärkung durch Christina und Ruth. Also ein doch nicht ganz sinnloses Vergnügen.

 

Aufstieg zur Spannorthütte

Nach einem Kaffee in der Nähe des Bahnhofs in Engelberg steigen wir in den Gratisbus, der uns bis zur Talstation der Fürenalpseilbahn bringt. Jetzt spüren wir erst so richtig den Reiz dieser Bergregion. Entlang der Engelberger Aa wandern wir im Schatten des Waldes in Richtung Surenenpass. Erinnerungen von früheren Wanderungen und Touren werden wach. Brunnihütte mit dem Walenpfad, das Rot Grätli mit dem Engelberger Rotstock, der Wissigstock und natürlich der Jochpass. Nach einer Brücke ist bereits Mittagsrast in der Alpwirtschaft „Alpenrösli" oder am schönen Bach. Sein Rauschen und das Rauschen der Wasserfälle ringsum sind heute unsere Musik. So beginnen wir den Steilaufstieg zur Hütte. Schlossberg, Spannort und Titlis verbergen sich zeitweise in leichten Wolken.

 

Eine Hütte, die man nicht so schnell vergisst

Erst im letzten Moment entdeckt man sie vor einem gleichfarbigen grossen Felsblock. Hüttenwartin Mariann hat uns vermutlich kommen sehen, denn sie empfängt uns draussen mit wichtigen Hinweisen und Verhaltensregeln. Es gibt nur ein Klosett im Aussen-WC für Frauen und Männer. Bei starker Frequentierung ist es den Männern erlaubt, ausserhalb des Zaunes das kleine Geschäft zu erledigen. Beim Betreten der Toilette bitte unbedingt den Kopf einziehen und die Türe schliessen mit einem schweren Eisenhebel. Wer sich getraut, den oberen Türflügel offen zu lassen, hat beim Sitzen eine grandiose Titlissicht. Ausser natürlich nachts. Ja, da oben ist die Welt noch in Ordnung. Nur die Gletscher schmelzen halt überall. Die weiteren Anordnungen betreffen die Sicherheit. Beim Betreten der fast senkrechten Spezialtreppe hinab in unser Schlafgemach unbedingt mit dem linken Fuss beginnen, damit kein „Chrüzlistich" entsteht. Auch Thomas, den Hüttenwart und Bergführer, lernen wir rasch kennen. Er anerbietet sich als Instruktor, als er erfährt, dass wir noch eine Repetition der Material- und Seilhandhabung auf dem Programm haben. Also schnell das Material aus dem Rucksack fischen. Bruno erwischt ein Paket mit der Hülle und der Aufschrift einer Metzgerei und ist sich nicht sicher, ob darin Kletterzeug oder Würste sind. An einem Felsen hinter der Hütte wird eine kurze Anseilstelle eingerichtet. Mit viel Geduld erklärt uns Thomas die heute gängige Technik. Auch ihm nützt diese Übung, weil er ja morgen unsere Gruppe auf den Spannort führen wird.

 

Die Spannung steigt

Um 03.45 Uhr ist Tagwache. Eine Stunde später ziehen wir los. Viele Gruppen sind bereits unterwegs und ihre Stirnlampen wetteifern mit dem klaren Sternenhimmel. Bei Tagesanbruch stellen wir fest, dass wir uns in einer unsäglich grauen Schutthalde befinden. Und sie will nicht enden. Immer wieder der Blick nach oben. In einem angenehmen Tempo führt uns Bergführer Thomas den steil (ja, es ist wirklich steil) aufwärts führenden Weg durch die Geröllhalde. Wie eine Prozession von Leuchtkäferchen sehen wir die noch früher gestarteten Gruppen in der Dunkelheit vor uns. Sie schlängeln sich wie wir, in vielen Kehren, den Steilhang hinauf. Dann doch plötzlich die letzten Schritte zur Schlossberglücke auf 2627m, die wir kurz nach Sonnenaufgang um 06.30 Uhr erreichen. Dieser Glanz, diese unglaubliche Stimmung haben wir verdient! Goldene Sonnenstrahlen leuchten über den weissen, tiefer liegenden Wolken und verzaubern die Landschaft.

 

Auf zum Gipfel

Wir bedauern sehr, dass Erwin, unser Tourenleiter, wegen einem stark verstauchten Finger auf den Gipfelanstieg verzichten muss. Bergführer Thomas stellt die Seilschaften zusammen und nach dem korrekten Anseilen wechseln wir vom Gestein auf das Eis. Um möglichem Steinschlag auf der Südostseite des Spannort auszuweichen, queren wir den Glattfirn in einem weiten Halbrund und steigen bis zum Spannortjoch. Auf dem Firn treffen wir ideale Verhältnisse an. Fasziniert blicken wir hinauf zu den bizarren Felsformationen, Türmen und Pyramiden des Massives.

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Nach einer kurzen Rast beim Joch deponieren wir Steigeisen und Pickel und los geht die kurzweilige Kraxelei. Die erste Steilstufe bietet schönen Fels mit guten Griffen. Die Route ist mit Bohrhaken und Seilen abgesichert und im Nu überwunden. Nun folgen nach rutschigem Gehgelände zwei weitere Kletterstellen in gerölligem Gelände. Dieser Aufstieg macht uns allen Spass. Nach der dritten Steilstufe ist bereits das Gipfelkreuz über dem schneebedeckten Gipfelhang in Sicht. Wir passieren eine Stelle, wo durch ein grosses Loch im Fels der nordseitige Firn und das Tal zu sehen sind. Spektakulär und bizarr ragen die Felsen wie Mauern und Türme neben uns und lösen mit den bis weit in die Tiefe steil abfallenden Kaminen ein wenig Nervenkitzel aus.

Punkt 10 Uhr geniessen wir am Gipfel die Stille der Bergwelt in vollen Zügen und den traumhaften Rundblick. Während der ausgiebigen Rast lassen wir uns vom Panorama und den sagenhaften Tiefblicken verzaubern. Bergführer Thomas benennt für uns alle Gipfel.

Der Abstieg erfolgt über den gleichen Weg. Die Kletterstellen überwinden wir durch Abseilen. Thomas richtete vor einiger Zeit, nachdem er „seinen Berg" ungefähr fünfzig Mal bestiegen hatte, für die letzte Steilstufe eigenhändig eine geniale Abseilstelle ein, von wo wir direkt auf den Gletscher abseilen können. Für den Abstieg wählen wir vom Spannort-Joch die Route auf der West-Seite über den Firn und die teilweise noch schneebedeckten Geröllfelder direkt Richtung Aufstiegsweg. Auch dieser Weg ist, obwohl wunderschön, ebenfalls sehr steil. Herrlich ist die Sicht zum Titlis und die Berge rund um Engelberg. In der Hütte zurück, bedanken wir uns herzlich bei Thomas für die umsichtige, professionelle Führung.

 

Vor dem Abstieg genehmigen wir uns eine Erfrischung und vervollständigen die Packung. Während dieser Zwischenverpflegung wird ausgerechnet, ob im Tal unten noch Zeit für ein „Berghütteler" im Alpenrösli bleibt. Mit einem rassigen Abstieg sollte es möglich sein. Wir verabschieden uns dankbar von Marianne und Thomas, die während zehn Jahren diese Hütte geführt haben und nun andere Ziele anstreben. An Ruth und Christina richten wir die Hoffnung auf einen sonnigen Montag, den sie noch in dieser schönen Landschaft verbringen wollen.

 

Bericht von Tourenleiter Erwin und Gipfelbericht von Ruth Mühle.